Einleitung

Dieser Online-Blog erschien zwischen Juni 2001 und Dezember 2002 im Skaichannel, der Website meines Freundes Hollow Skai, Musikjournalist und Buchautor. Er war eines von drei parallel laufenden Online-Tagebüchern, die beiden anderen wurden von Hollow und einer Dame namens „Silverlake“ in Kalifornien geführt. Die Blog-Kultur befand sich gerade in ihren Anfängen, und es hat Spaß gemacht, sich ohne irgendeinen thematischen Rahmen und ganz subjektiv über Gott und die Welt auszulassen – von Fußball bis Politik – und dabei private Erlebnisse mit allgemeinen Betrachtungen zu vermischen. Das hatte seine Zeit, der Skaichannel sieht heute anders aus und die „Osterstrassen-Papiere“ verschwanden wieder aus dem digitalen Universum. Aber ein paar Leute müssen meine Ergüsse damals wohl interessiert gelesen haben, denn vor kurzem bat mich ein Herr mit dem schönen Namen Knut Hanssen, jene Schreibereien doch wieder zugänglich zu machen. Als ich die „Osterstrassen-Papiere“ dann zum ersten Mal seit Jahren wieder las, waren sie auch schon für mich ein Stück Zeitgeschichte – meiner ganz persönlichen jedenfalls –, und ich wurde schnell wieder eingesogen in den Film jener Zeit zwischen persönlichem Neuanfang, dem 11. September, Milzbrandalarm und dem Tod meiner Grossmutter und meines Bruders. Es sind mehr Reflexionen als Gefühlsausbrüche, ich gehöre nicht zu den Menschen, die den Drang verspüren, ihre innersten emotionalen Bewegungen in der Öffentlichkeit auszubreiten. In jedem Fall hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass es keine kulturökologische Sünde wäre, der Bitte von Herrn Hanssen – dem ich an dieser Stelle für den Relaunch danke – zu entsprechen und die „Osterstrassen-Papiere“ wieder in die unendlichen Weiten des World Wide Web zu schießen – wem immer sie dort begegnen mögen. Bye, bye!

Pfingstmontag, 04.06.2001

Ein nasser Tag. Draussen hat es seit heute Mittag Bindfäden geregnet. Ich habe versucht, an meinem Fortsetzungsroman “Der Untergang des Hauses Uscher” zu schreiben, einer Ost/West-Trash-Soap um ein fettes 14jähriges Mädchen, das sich autodidaktisch zur Voodoopriesterin ausbildet, um ihrer Familie das Leben zur Hölle zu machen. Aber irgendwie war ich heute blockiert, voller Selbstzweifel und ohne Biss.

Habe dann für BABY und mich Spaghetti mit Pilzen und Ahornsirup gekocht, es schmeckte irgendwie obskur, aber BABY, tapfer wie sie ist, ließ sich nichts anmerken. Vielleicht hatte sie aber auch nur Hunger.

Gestern rief mein Vater an, um mir mitzuteilen, dass meine Oma stirbt. Sie ist 97 und seit 10 Jahren bettlägerig. Sie hat in all den Jahren nicht zu sehr gelitten, sie war einfach gehunfähig und gebrechlich. Seit ein paar Wochen ist sie verwirrt, sie erkennt Leute nicht mehr und sagt, dass sie schon tot sei. Sie muss viel trinken, aber sie weigert sich, weil sie nicht einsieht, warum sie noch trinken soll, wo sie doch schon tot ist. Meine Schwester und ich wollen hinfahren, um uns von ihr zu verabschieden. Vor ein paar Monaten hat sie mir noch ein Gedicht rezitiert, das sie mit ihrer Schulklasse skandiert hat:

“Der Kaiser ist ein lieber Mann

er wohnt dort in Berlin

und wär das nicht so weit von hier

dann gingen wir heut’ noch hin!”

Meine Oma hat fast das ganze 20. Jahrhundert durchmessen, und obwohl diese Einteilung willkürlich ist, scheint es doch so, als sei dieses ein besonders rasantes gewesen. Aber wer weiß?

Sonntag, 10.06.2001

War mit Schwester und Neffen bei unserer Oma. Ich sah sie zuletzt Weihnachten, der Unterschied war frappant. Auch an diesem sonnigen Tag und bei offenem Fenster war die Nähe des Todes spürbar, auch wenn er „noch nicht im Zimmer“ war. Ihr Blick war wie aus einer Zwischenwelt, sie sprach fast mit der Stimme eines kleinen Kindes, wenn sie kurz aus ihrer Dämmerwelt hervor kam. Mein 6 Monate alter Neffe und seine Urgroßmutter, auch sie jetzt wieder hilflos wie ein Baby: passengers in time, einen Kreis beschreibend...


In HOMETOWN herrscht hektische Bauaktivität, aber in erster Linie bei öffentlichen Gebäuden. Neues Rathaus, neuer Busbahnhof, Unterführungen, Umgehungen, Tiefgaragen. HOMETOWN macht sich fit, rückt aber noch nicht so richtig mit der Antwort auf die spannende Frage heraus: Wofür? Es gibt so viele Seltsamkeiten. Die Fußgängerzone ist gespickt mit glänzenden Parfümerien, eine neben der anderen, die Reihe höchstens unterbrochen von einem Schuhgeschäft. Das müsste eigentlich bedeuten, daß die Bewohner in Duftwolken gehüllt vorbei eilen, aber ich habe nichts dergleichen festgestellt.
HOMETOWN macht einen seltsam fremden, sehr weit entrückten Eindruck auf mich, ein Ort ferner Erinnerung.


Ich liebe Züge (wenn sie nicht überfüllt sind). Die vorbeifliegende Landschaft, from station to station. Fernzüge haben noch etwas Besonderes: das Geschlossene der reisenden Gesellschaft, die endlosen Gänge, die Schlafwagen, die mehrtägige Reise. Ein tolles Szenario für Thriller, wofür es ja auch viele Beispiele gibt. Super war einer mit Gene Hackman, der, glaube ich „Narrow Margin“ hieß und in einem Zug quer durch Kanada spielte.

Dienstag, 12.06.2001

Heute morgen war der Himmel über Hamburg wolkenlos blau und aus geradezu ruchlosem Optimismus ging ich in Hemingway-Shorts und Sommerhemd in die FIRMA. Eine schwere Fehlkalkulation, denn gegen Mittag hingen die Wolken schon wieder knietief und es waren 13 Grad. Ich fror wie ein Schneider und verfluchte dieses bescheuerte Hamburg-Wetter. Welch ein Unterschied zu Berlin, das manchmal kontinental und unbeweglich in Hitzewellen steht, die jeder Beschreibung spotten. Der letzte wirklich heiße Sommer in Hamburg muß der von 1991 gewesen sein, als wir hier “Wer Böses denkt, soll endlich schweigen” aufnahmen. Wir wohnten im “Hotel Monopol” und während dieser 8 Wochen wurden auf dem Kiez bei verschiedenen Anlässen vier Leute erschossen. Die Hitze hatte den Jugos die Birne komplett weich gekocht.

Am Sonntagabend waren wir mit BABYS Vater, seiner neuen Frau und BABYS Bruder essen. Ihr Vater ist ein verschmitzter Bulle, der jetzt pensioniert wird. Er hat einen ziemlich trockenen Humor und auch einen guten Schuss Selbstironie und wir kamen ganz gut klar. Vorher hatten BABY und ich versucht, “The Big Lebowski” anzuschauen, aber dann kam ein Haufen unsinniger Anrufe und wir kamen nur bis zur ersten Bowling-Szene.

Ein Freund aus Berlin ist in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, ein Typ, der fast wie “The Dude” war. Der Junge hat Geschäfte gemacht und war dabei ein Träumer und Weltverdränger reinsten Wassers, ein großkotziger Robin Hood in Shorts und Badelatschen. Ein guterTyp, dem ich aus verschiedenen Gründen Dank schulde. Jetzt sitzt er im Urban-Krankenhaus auf der Entgiftungsstation vor dem Fernseher, zeitweilig ruiniert von Mr. Brownstone, seinem Größenwahn und einer Frau. Das kommt mir irgendwie bekannt vor.

Er wird wiederkommen, aber ein paar Dinge muß er jetzt mit sich selbst ausmachen, face to face. Dabei fällt mir die Szene ein, als ich in Aachen gebustet und vor Entzug kotzend auf der Zellenpritsche lag. Ich bekam einen Eimer samt Aufnehmer zum Aufwischen.

Vorletzten Herbst spielten wir noch ein TIPP-KICK-Turnier über mehrere Wochen. MAN, I keep my fingers crossed!

Sonntag, 17.06.2001

Am Freitagabend war ich wieder auf der Suche nach dem Guten, Wahren und Schönen. Es gab ein Essen bei SCHWESTER und ein alter Feund aus dem Sauerland war da, Georgie, fanatischer Drucker und mittelständischer Unternehmer. Es war schön, zu sehen, daß der alte Spirit sich nicht verflüchtigt hat, wir waren schnell bei den wichtigen Dingen angelangt und sprachen über Soul und Lyrik (in welcher Form auch immer) als der einzig heilsamen Medizin gegen die Qualen der Zivilisation - abgesehen vom Rotwein und dem psychoaktiven Gemüse, so daß wir bald gemeinsam um den Küchentisch flogen. Jenes Zivilisationsdrama besteht doch darin, als Spezies im Zuge der Evolution ein ständig sich selbst reflektierendes Bewußtsein ausgebildet zu haben, das uns eine Art Trennungsschmerz beschert, das Abgenabelt-Sein von der Unmittelbarkeit des reinen Willens, wie ihn die Tiere verkörpern.
Der Abend endete dann in der Havanna Bar mit einigen Caipirinhas und so war gestern ein Tag, der eher langsam begann, mit der Lektüre der „Welt“ und großzügigen Gedanken. Ich sah eine Weile rauchend aus dem Fenster, um dann durch die Warenschächte des Supermarkts mitzuschwimmen, in einer Atmosphäre zwischen Aggressivität und Geilheit. Die knisternden Röcke der Frauen und die schön designte Welt der Markenprodukte - sexy.

Mir scheint, daß ich ewig keinen tollen Roman mehr gelesen habe, immer bloß historische Sachen wie die Hitler-Biografie von Kershaw. Auch nicht schlecht war „Der weiße Kontinent“ über die Entdeckung der Antarktis. Hollow empfiehlt T.C. Boyle. Könnte ich mal wieder versuchen, „Wassermusik“ war wirklich geil, aber danach fand ich es auch oft länglich. Auch neue Musik geht mir ab, die neue „Depeche Mode“ ist wie immer ganz schön, wenn auch nicht unbedingt elektrisierend. Vielleicht sollte ich mich mal an Doktor’s Playlist orientieren, der hört doch immer nette Sachen in seinem Office.Und im Kino sollte ich mir wenigstens „BlackBox BRD“ ansehen.

Heute ist der 17. Juni, früher mal „Tag der deutschen Einheit“ und Gedenken an den Ostberliner Aufstand im Spätstalinismus. Ich las in dem Buch „Gesicht des 20. Jahrhunderts“ von Hans-Peter Schwarz über die „großen Monster“ der jüngeren Geschichte. In der Linken galt Lenin im Vergleich zu Stalin ja lange als netter Onkel. Und er konnte ja auch wirklich rührend sein: „Manchmal möchte ich den Menschen über die Köpfe streicheln, aber die Zeiten sind nicht so. Man muß sie einschlagen, erbarmungslos einschlagen.“ Ich erinnere mich, das ich Lenin als 15jähriger in Heldenpose gezeichnet habe. Die 70er waren schon seltsam, naiv und elitär zugleich.

Das Buch ist auf jeden Fall lesenswert. Schwarz’ Einschätzung der großen politischen Persönlichkeiten des Jahrhunderts ist interessant: Besonders inspirierend finde ich seine Interpretation des „Charakters“ der großen Führungsfiguren der Krieg- und Krisenzeiten. Im hinteren Teil ordnet er Reagan und Thatcher unter die „Radikalreformer“ ein, das ist irgendwie originell, auch nicht wirklich zu bestreiten, da beide radikale, schwer durchsetzbare Schnitte gemacht haben, die die innere Lähmung ihrer Länder gelöst haben. Allerdings sind die Spätfolgen z.B. des Thatcherismus in Gestalt der Agonie der sozialen Dienste auf der einen und des neureichen Zynismus auf der anderen Seite äußerst unappetitlich. Kennedy ist bei Schwarz ein ziemlicher Poser, auch das hat Einiges für sich, allerdings war sein historischer, erfolgreich bestandener Showdown mit Chruschtschow wegen Kuba auch nicht gerade eine Kaffeefahrt.

Tata!! Kinskis Gedichte sind aufgetaucht. Damals war er noch blutjung, aber wie man sieht, schon genauso wahnsinnig. Kraftvoll, absolut. Dieser Typ hat mich schon immer fasziniert. Meine Exfrau, die Fotografin, hatte mal eine Portraitsession mit ihm gehabt, sie mußte mir alles im Detail erzählen. Sie hat behauptet, das da nichts vorgefallen sei, aber ein paar Jahre später las ich in seiner Autobiografie diese Gechichte in einer ziemlich saftigen Version. Ich war irritiert und amüsiert zugleich. Der Mann hat ja immer gern dick aufgetragen, aber wer weiß? Jedenfalls hat mich dieser Maniac letztes Jahr zu einem kleinen Couplet inspiriert, das ich an dieser Stelle mal zum Besten geben will:

klaus kinski ißt ein brot © havaii 2000

er verlangt ein sandwich
man bingt es ihm eilig
denn alle wissen
dies ist ihm heilig

im blick nackter wahnsinn
er krallt seine beute
mit zitternden lippen

klaus kinski ißt ein brot

die menschen sie starren
wie gelähmt auf die szene
blutiges roastbeef
tropft von seinen zähnen
der leibhaftige satan
macht hier seine brotzeit
das brot und klaus kinski
eine schaurige hochzeit

er reisst sie in stücke
die arglose schnitte
er malmt und er speichelt
was kümmern ihn dritte?

der rasende lutscht schon
an den letzten krumen
da fällt sein blick
auf die ausstattungsblumen
ein geheul des triumphes
entringt sich dem munde
er wirft sich nach vorn
in die weichende runde
nichts kann ihn stoppen
der tobende schreit:
ich fresse die blumen!
Ihr arschlöcher! weicht!

er frisst die blumen
und auch noch die vase
doch das ist nur ein vorspiel
zur wahren extase
das objekt der begierde
wer kann es verhindern?
ist der hintern der drallen
regieassistentin

er schultert das weib
seine wimmernde beute
flucht auf französisch
und sucht mit ihr das weite

die zurückgebliebenen
sehen sich schweigend an
wohl dem, der dem dämon
diesmal entrann

Sonntag, 01.07.2001

HOT IN THE CITY – jetzt ist es doch brüllend heiß in Eimsbush und Barmbek, oft drückend schwül. Zwischendurch krachen Gewitterfronten aufeinander und es schüttet wie aus Kübeln. Wir sind nachts auf die leergefegten Strassen raus und haben uns nass regnen lassen wie zwei Katzen. Auch heute ist es schwül in der Wohnung, aber durch das weit geöffnete Fenster sehe ich, dass in den grossen Bäumen gegenüber Wind aufkommt. Einen Block weiter hupt eine Auto-Alarmanlage. Ich spüre, wie die Dinge in Bewegung kommen...

BLACKBOX BRD war ein Erlebnis, ein hypnotischer, genial montierter Film. Es geht um zwei komplett unterschiedliche Biografien, die auf tödliche Weise miteinander verstrickt sind: RAF-Kämpfer Wolfgang Grams und Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen: der eine ein Kind der linken WGs mit moralischem Absolutheitsanspruch, der andere ein maßlos ehrgeiziger Aufsteiger mit einem späten Bekehrungs-Erlebnis. Die einfachen Eltern von Grams in ihrer Traurigkeit und dem gegenüber Herrhausens Witwe, elegant und genauso traurig. Dazwischen immer wieder der Konvoi aus drei gepanzerten Benz-Limousinen, aus dessen Mitte Herrhausens Wagen per Lichtschranke präzise herausgebombt worden ist.

Die Interviews mit Familien und Freunden sind sehr erhellend, sie liefern den Schlüssel zu den tieferen Schichten von Menschen, die man bisher mehr als halbreale Symbolfiguren zweier bis auf den Tod verfeindeter Lager wahrgenommen hat.

INSEKTEN tanzen vor dem Fenster, die eigentlichen Herren des Planeten, jedenfalls in der sichtbaren Dimension. Aber auch Parasiten sind beeindruckend. So las ich über einen Wurm, der im Laufe seines Lebens mehrmals sein Wirtstier wechselt und zunächst Elche befällt. Um auf seinen nächsten Wirt, den Wolf überwechseln zu können, veranlasst er den Stoffwechsel des Elches ein Geruchssekret zu produzieren, das Wölfe auf besonders weite Entfernung wittern können.

AUF andere Art bizarr war die “Dschungelnacht” bei Hagenbeck, bei der sich Familienverbände in Marschsäulen über schmale Wege durch den abendlichen Zoo wälzten. An jeder Wegkreuzung lauerten Leuchtspielzeug-Händler, die das Geschäft ihres Lebens machten und wir fanden uns inmitten einer Prozession von lärmenden kleinen Leuchtzwergen, die mich an einen St.-Martins-Umzug erinnerte. Dazu spielte eine Liveband Oldie-Rock und die Zootiere hatten sich, so gut es ging, ins Dunkle zurückgezogen. Nur ab und an konnte man zwischen dem Meer aus Köpfen die Silhouette eines Flamingos oder eines Seelöwen erkennen. Im Dschungel herrschte Stau, auch verursacht von den Schlangen vor den Eis- und Pommesbuden, die an strategisch wichtigen Punkten den Weg versperrten. Bevor das Feuerwerk gezündet wurde, machten wir uns auf den Heimweg.

Sonntag, 08.07.2001

HITZE und Gewitter. Wir waren wieder draußen, saßen unter dem dichten Blätterdach eines großen Baumes “am Weiher”, während hinter den schwarzen Silhouetten der Bäume die Blitze zuckten. Die dumpfen Explosionen des Donners waren bis in die Magengrube zu spüren. Dann begann der Regen, rauschend und stetig brachte er die Wasseroberfläche des Teiches zum Kochen und wir schwiegen und fühlten uns gut. Auf der gegenüberliegenden Seite, im schwarzen Schatten eines Hauses, glomm eine Zigarette.

Später saßen wir bei offenem Fenster in der Küche, tranken Wein und hörten Pink Floyd und Massive Attack. Meine Gedanken wanderten zurück in meine Kindheit, die Welt der Bilderbücher und Butterbrote, der ersten Momente entrückten Glücks. Das Buch mit den Füchsen, das leicht gesalzene Butterbrot, die Katze, die über die Wiese schnürt, die hinter dem Gartenzaun beginnt. Ein paar Sommerwolken und leises Besteckgeklapper aus der Küche. Jetzt sehe ich den Schmetterling über der Wiese und wie die Katze das dicht über den Halmen tanzende Ding mit zuckendem Schwanz fixiert. Bevor sie springt, hat sich der irrlichternde weiße Fleck in die Höhe erhoben und ist aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich blinzle in die Sonne, aber ich kann ihn nicht mehr sehen. In der Ferne singt eine Kreissäge und die Katze schnürt weiter durch das trockene Gras in Richtung Bahndamm.

TRIUMPH und Desaster - erst wenn man beide mit derselben Gleichmut hinnimmt, hat man Größe. Das hat Rudyard Kipling sinngemäß so gesagt - an beiden Dingen hat es in meinem Leben nicht gefehlt, das mit der Gleichmut lerne ich noch - diesen Satz fand ich auf den ersten Seiten des Buchs “Verbrannte Tage” von James Salter. Ein Buch, das sehr gut anfängt und die richtigen Schwingungen hat. Ich habe es im Regal des Buchladens gesehen und gekauft, weil mir der Titel und der Umschlag so gut gefielen.

BERLIN brodelte wie immer, anders als Hamburg, das dagegen etwas monoton wirkt, und ich dachte an den Sommer vor 2 Jahren, als ich viele heiße Wochen hindurch an meinem Schreibtisch saß und schrieb oder irgendetwas Grafisches machte. Von meinem Platz aus hatte ich den Sonnenuntergang über den Dächern Schönebergs vor Augen, geradeaus die Gedächtniskirche und rechts die Skyline des Potsdamer Platzes. Aber auch Hamburg hat seine Reize und ich fühle mich schon ganz wohl hier, auch wenn ich Berlin öfter vermisse.