DANKE DEUTSCHLAND! Die kreuzfidele Kampagne zum 50. Geburtstag von BILD suggeriert vor allem eins: DEUTSCHLAND ist BILD und BILD ist DEUTSCHLAND.
Bei uns zu Hause gab es die BILD-Zeitung nicht. Meine trendgerecht eher zum gemäßigt Sozialdemokratischen neigenden Eltern hatten in den Sechzigern WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU, SPIEGEL und STERN abboniert, hin und wieder lag sogar eine TWEN oder JASMIN herum. Wenn ich allerdings zusammen mit meinem Vater meine Großeltern mütterlicherseits besuchte, zu deren Grundnahrung das Blatt gehörte, sah ich ihn nach einer kurzen Anstandsfrist stets hinter den Seiten mit den knüppelgroßen Schlagzeilenlettern verschwinden. Diese Zeitung hatte etwas quasi-pornografisches, dem man sich nur auf sicherem Terrain widmen konnte, mit der man sich aber nicht in der eigenen sozialen Peergroup erwischen lassen wollte.
BILD hat sich nicht geändert, es ist immer noch die “pornografische” Sicht auf die Dinge, die das Erfolgsgeheimnis ist, hier ist alles völlig enthemmt, genüsslich werden Menschen und Schicksale, Blut und Sperma zu einem alle latrinenhaften Instinkte stimulierenden Cocktail verrührt. Noch immer wird nach Herzenslust denunziert (siehe Hollows Kommentar auf der Startseite), gehypt und platt gemacht. Noch immer ist das Blatt so reaktionär, dass es kracht, so pro-amerikanisch und pro-israelisch, dass man glauben könnte, es handele sich um eine Werbebroschüre des amerikanischen Aussenministeriums.
Neu ist allerdings, wie auch die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” schreibt, die wachsende Akzeptanz des Phänomens in gewissen Kreisen der “Intelligenz”, vor allem in der Medienbranche. Mit unverhohlenem Respekt spricht man von “The Tool”, dem ultimativen Instrument zur Manipulation der öffentlichen Meinung. Man amüsiert sich über manchen Vogel, den das Blatt abschießt, die “witzigen” Werbekampagnen oder auch die “unfreiwillige Komik” mancher Schlagzeile. Gern wird auch darauf hingewiesen, dass z.B. die britische Boulevard-Presse doch “viel schlimmer” sei. So wird BILD zum “Kult”, zu einem Teil der Popkultur.
Das finde ich allerdings ziemlich grässlich. Das liegt nicht nur an der sprichwörtlichen Infamie der BILD-Reporter, Ich erinnere mich nur zu gut daran, als die MEUTE damals (kurz nach dem “Rote Rosen”-Hit) nach dem Tod meiner Freundin Blut gerochen hatte. Ich war unauffindbar und so hielt man sich an ihre Familie. Ich hatte lange Telefongespräche mit ihrem ziemlich verzweifelten Bruder, bei denen wir fieberhaft überlegten, wie man die Hyänen loswerden könnte. Sie hatten der Familie versichert, dass man notfalls auch eine Woche vor Ort sein werde: “Wir bringen die Story auf jeden Fall, es ist besser für Sie, mit uns zu reden, bevor die Berichterstattung eine Richtung nimmt, die vielleicht nicht in Ihrem Interesse ist...”
Es liegt auch nicht nur an dem dreisten Zynismus des aktuellen Chefredakteurs, der mit atemberaubender Frechheit verkündet, er sei ein “Streiter für journalistische Sorgfalt”, dem jede “Verluderung der Sitten” widerwärtig sei, es gehe “schließlich um Menschen, die ohne eigenes Zutun ins Licht der Öffentlichkeit gerückt sind”.
Es liegt auch nicht nur an der offenkundigen Geistesgestörtheit von BILD-Kolumnisten wie der “Goldenen Feder” F.J. Wagner oder dem heillosen David Blieswood.
Das Erschreckendste an der ganzen Sache ist eher die Tatsache, dass das Gerede von “THE TOOL” die Sache wohl annähernd trifft. Die BILD-Zeitung ist ein Machtfaktor, der kaum zu überschätzen ist und sich mit ihr anzulegen, kann auf einer gewissen Ebene einem öffentlichen Suizid gleich kommen.