SCHWER WAS LOS in den Fussball-Final- Wochen. Erst die göttliche Gnade der Erfüllung meiner Prophezeiung, dass meine Borussia die Schale holt. Bremen niedergefightet und am Ende die Extase, Tränen der Rührung und des Glücks im Ruhrgebiet. Beim Abpfiff entrang sich mir ein Schrei der Erlösung, aus der Tiefe meines Bauches stieg er auf und wurde dann aus vollster Lunge ausgesungen, lang und endgültig. Lupenreines Glück. Ich war so aus dem Häuschen, dass ich abends mit BABY und SCHWESTER tanzen ging. Eine rauschende Ballnacht, die erst in der Morgensonne endete, mit einer sanften Landung in frühlingsprallen Kissen.
Auch das verlorene UEFA-Cup-Finale konnte mir die Stimmung nicht vermiesen. Der finale Fehltritt Jürgen Kohlers, des “Eros Ramazotti für die Stehplätze” (Süddeutsche Zeitung) unterstrich einmal mehr die Tendenz des Fußballspiels, die perfekteste Art des großen Dramas zu bieten, indem es in Sekundenschnelle strahlende und tragische Helden gebiert, dabei nur den unbekannten Regieanweisungen des “Fussballgottes”” folgend. Dessen Identität ist allerdings verwirrend dualistisch, denn einerseits wird der eindeutig fleischliche Kohler als solcher verehrt, andererseits erfährt dieser Gott aber die allgemeine Anrufung als übergeordnete, metaphysische Instanz.
Dieses Kuddelmuddel ist theologisch unsauber. Mein pragmatischer Vorschlag ist, sich hier analog zur christlichen Lehre zu verhalten und Kohler als Sohn dieses Gottes zu interpretieren, der auf die Erde kam, um die Sünden Effenbergs und der ganzen pomadigen Mischpoke auf sich zu nehmen. Dazu passt die Kreuzigungsszene in der 31. Minute in Rotterdam und es hätte nicht überrascht, wenn Kohler angesichts des blutigen Rots der ihm entgegengestreckten Karte den Blick unter der Dornenkrone zum Himmel erhoben und gefragt hätte: “Mein Vater, warum hast du mich verlassen?”
Und Leverkusen? Es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es. Dafür haben sie sich aber wenigstens im Champions-League-Finale gut verkauft. Ob die Voraussage des gehässigen Uli Hoeness eintrifft, wonach “die in der nächsten Saison keine Rolle spielen”, wird man abwarten müssen. Wie immer es auch kommt, Calmund wird es uns erklären. Schade, dass der Titel “Meister der Herzen” schon vergeben war, auf diese griffige Formel musste Calli leider verzichten und mit so umständlichen Wendungen wie den “vielen Sympathien, die uns zugeflogen sind” arbeiten. Auch die resigniert-zeitkritische Bemerkung, dass “in unserer Gesellschaft eben nur Titel zählen”, wird vielen Mühseligen und Beladenen einen solidarischen Seufzer entlockt haben. Selten wurde der Nimbus der allseits geliebten Verlierer so vehement beschworen und so steht Calmund am Ende zwar nackt, aber mit Küssen tapeziert im Mittelkreis.
FÄLLT EINEM ZU ERFURT WIRKLICH ETWAS EIN? Die Ursachenforschung läuft auf Hochtouren und doch scheint es, dass jede “Erkenntnis” bloß neue Fragen aufwirft, irgendwie passt das alles nicht oder zu gut zusammen. Auch bei näherer Betrachtung wirkt dieser Junge wie hunderttausend, wenn nicht Millionen andere, von denen viele vielleicht mit noch ganz anderen Frustrationen zu kämpfen haben. Was macht den entscheidenden Unterschied? Sicher nicht die Computerspiele.
Wenn nur ein Prozent dieser Menschen ähnliche Konsequenzen wie Steinhäuser ziehen würde, hätten wir ein Szenario, das “Dantes Inferno wie ein müdes Gefunzel mit Taschenlampen aussehen ließe” (KLEINKRIEG).
Früher waren Amokläufer typischerweise zwischen 40 und 50, die Gemetzel aber nicht weniger grässlich, im Gegenteil. 1964 stürmte in Köln-Volkhoven ein 42-jähriger mit einem selbst gebastelten Flammenwerfer und dem Ruf “Ich bin Hitler, der Zweite!” seine ehemalige Schule und tötete wahllos 8 Kinder und 2 Lehrerinnen, anschliessend sich selbst. Für die, die mit schweren Verbrennungen überlebten, begann das Martyrium erst. In diesem wie auch dem Fall von Steinhäuser steckt dahinter der Wunsch, ein negativer “Held” zu werden, ein sich selbst aus der Anonymität reißender Ruinierer, dessen Selbstmord nach vollbrachter Tat zum Plan gehört. Der “Feuerteufel von Volkhoven” taucht im selben Moment auf wie Andy Warhols Satz, “dass in der heutigen Zeit jeder 15 Minuten berühmt sein kann”. Wirklich auffällig ist aber, dass diese Leute in den letzten 20 Jahren immer jünger werden.1975, als ich so alt wie Steinhäuser war, hätte ein Schulverweis das eigene Prestige eher erhöht, zumindest nicht das Gefühl des endgültigen Scheiterns ausgelöst. Aber wer weiß schon, was wirklich in dem Fass war, das dadurch zum Überlaufen gebracht wurde?
STAR WARS EPISODE II: Eine beispiellose Pixelorgie mit schönen Monstern, rasanten Flugmanövern und hin und wieder noch aufblitzenden Resten des Humors, der die Serie in ihrer Anfangszeit ausgezeichnet hat. Die Dialoge sind wie immer gnadenlos trivial, aber das muss so sein. Ein paar Figuren bleiben haften: der sinistre, vor Hinterfotzigkeit triefende Kanzler zum Beispiel oder der schmierige, vierarmige Wirt des Diners, dessen fusselbärtige Physiognomie an Arafat erinnert. Klasse war auch das einem Termitenbau ähnelnde Kolosseum, in dem sich die Massen geflügelter Insektenwesen zum großen Hinrichtungsspektakel versammeln.
TIGER FRESSEN KEINE YOGIS – so heißt ein Buch von Helge Timmerberg, in dem er Reisereportagen aus 20 Jahren gesammelt hat. Immer wieder überraschend, manchmal tiefsinnig, oft von sarkastischem Humor durchtränkt, dann wieder sensibel und voller Mitgefühl. Ein schönes Buch.