Sonntag, 31.03.2002

DIE FAHRT DURCH DAS NÄCHTLICHE COLOMBO auf dem Weg zum Flughafen: Es ist das Vollmondfest. Die Menschen strömen in die Tempel, zünden Räucherstäbchen und unzählige kleine Lichter an. Über den Dächern segelt ein satter roter Mond. Die feuchtheiße Luft ist durchtränkt von würzigen Gerüchen: Benzin und Zimt, Meersalz und Curry. Erleuchtete Läden und Imbisskarren fliegen vorbei. Die Sinfonie aus vielstimmigen Hupen, Rufen und Musikfetzen treibt die Nacht voran.

Es waren Wochen sonnensatter Trägheit, aber auch ritueller Sportlichkeit – vom Meereswind durchwehte, träumerische Tage und vom Brandungsrauschen umspülte schweissgecremte Nächte. SRI LANKA, die „Leuchtende“. Die Singhalesen sind ein stolzes, zur romantischen Selbstüberschätzung neigendes Volk. Auf den Streichholzschachteln ist eine Weltkugel abgebildet, auf der die Insel, die etwa so groß wie Bayern ist, dominierend und völlig überproportioniert im indischen Ozean thront. Daß „das Blut des Löwen“ (singha = Löwe; lee = Blut) in ihren Adern fliesst, fassen die Singhalesen keineswegs bildhaft auf. SRI LANKA ist eine Welt, die einen prallen, überreifen Zauber verströmt, aber auch voller innerer Widersprüche ist - schillernd zwischen Armut und Anmut.

Die Nerven zerfetzende Fahrt von Colombo in den Süden: Es ist Landessitte, buchstäblich überall zu überholen, auch in den uneinsehbarsten Kurven. Auf die Spitze getrieben wird die Action, wenn nicht nur die entgegenkommenden Trucks mit ihrem Gehupe und wildem Fernlichtflackern unsere Aufmerksamkeit fesseln, sondern die Situation noch durch wendende Tuc Tucs (eine Art Motorroller-Rikscha), kreuzende, mit zwei Leuten besetzte Fahrräder und auf der Fahrbahn stehende Kühe komplettiert wird. Es ist ein Gefühlscocktail aus übermüdeter Schicksalsergebenheit und jähen Adrenalinstößen. Zwischen Slumdächern blitzt immer wieder der phosphoreszierend grüne indische Ozean auf. „Mister Anton“ zeigt uns stolz das riesige neue Kraftwerk, das zwar seit Jahren fertig, aber aus unklaren Gründen nicht in Betrieb ist, weshalb das Leben morgens und abends einige Stunden durch Kerzen, Gaslampen und Notstromaggregate gespeist wird. „Power Cut“ – der erste SRI-LANKA-Begriff, den man lernt.

Im Moment trifft man dort nur wenige Touristen. Die Selbstmordattentate auf dem Flughafen von Colombo im letzten Jahr haben den ohnehin dünnen Strom von westlichen Reisenden zu einem dünnen Rinnsal verkümmern lassen. Das, obwohl in dem seit 20 Jahren dauernden Bürgerkrieg zwischen der singhalesischen Armee und der Volksgruppe der Tamilen seit drei Monaten ein Waffenstillstand hält. Friedensverhandlungen mit den ursprünglich aus Indien stammenden und im Gegensatz zu den buddhistischen Singhalesen hinduistischen Tamilen haben begonnen. Überall ist vorsichtiger Optimismus spürbar, daß der ermüdende Krieg, der von keiner Seite gewonnen werden kann, nun ein Ende hat.

Der turmhohe Buddha, in dessen Innerem unzählige Szenen aus den 500 Leben des Erleuchteten abgebildet sind, die Streifzüge durch die Dschungeldörfer, die Albino-Meeresschildkröte, der türkisgrüne Eisvogel, die alten holländischen Münzen, die ich in der Nähe des Forts von Galle erstanden habe, der delikate Lobster, die Friedhöfe am Strassenrand: eine schwarzbraune Kuh grast zwischen gekachelten Grabsteinen, über einen ist Wäsche zum Trocknen gehängt, auf zwei anderen sitzen rauchend junge Männer, die auf den Bus warten. Die Star-Wars-Hupe unseres Tuc Tucs, das erhobene Kinn der eleganten Frauen von Matara, die Prozession der Dorfkinder, die uns anstarren wie ein Kalb mit zwei Köpfen.