Sonntag, 20.01.2002

WAS IST LOS mit bin Laden? Musharraf lässt verlauten, er sei wohl auf der Flucht an Nierenversagen gestorben, weil er die Dialysegeräte nicht mitnehmen konnte. Vor vier Wochen war es noch eine Lungenentzündung, die ihn hinweggerafft haben sollte. Und Mullah Omar? Vor zwei Wochen las man, er sei in Zentralafghanistan auf einem Motorrad auf der Flucht. Der zwar einäugige, aber dafür “zweitmeist gehasste Mann der Welt” auf der Enduro: das Gesicht schurkisch verzerrt und immer wieder nach dem Turban greifend, prescht er über die steinige Piste. Am Himmel über ihm kreisen amerikanische Aufklärungsdrohnen...

So grotesk sich manche Meldungen anhören, so verstörend sind die Bilder von der “Haltung” gefangener Taliban- und Al-Q’aida-Kämpfer durch das US-Militär auf Kuba. An Händen und Füßen gefesselt, geknebelt, geblendet, ja sogar taub gemacht knien sie hinter Stacheldraht, unfähig zu jedweder Kontaktaufnahme. Gewiss sind diese Leute keine Chorknaben, die etwas über die Stränge geschlagen haben, aber diese Bilder tragen eine unsichtbare Überschrift: RACHE. Diese Männer haben nicht den Status von Kriegsgefangenen, aber als was soll man sie sonst betrachten?

IN BERLIN gab es letzte Woche ein Wiedersehen mit den Jungs von der Band. Wir sprachen über eine mögliche Reunion des letzten EXTRABREIT-Line-Ups für einige Open Airs im Sommer. Der gute alte STEVE, der jetzt bei der TERRORGRUPPE die Knüppel schwingt, ist inzwischen erblondet, hat sich aber ansonsten kaum verändert. Ein charmanter, leicht eigenbrötlerischer Junge. Inzwischen ist er ziemlich schwerhörig, aber was das betrifft, sind einige von uns Marshall-geschädigt. KLEINKRIEG lebt Tinnitus-bedingt “ein Leben mit Pfiff”, sozusagen mit einer ewigen Ilse Werner im Ohr und ich bin immer wieder überrascht, dass viele Leute Fernsehsendungen ohne Ton verfolgen können.

TOM war mit seiner kleinen Tochter da und mit seinem Gangster-Habitus auch ganz der alte. Sein erster Blick ging zu meiner Uhr und der zweite prüfte den Anzugstoff. Später tauchte noch mein alter Kumpel HARRY mit seinem Sohn ELVIS auf. Der alte Hasardeur hat sich offenbar gut von seinem Höllenritt mit MR BROWNSTONE erholt und sieht langsam wieder Land. Obwohl es ganz nett war, den Geruch des alten Turfs mal wieder in der Nase zu haben, kann ich nicht sagen, dass es mich zurück zieht.

JETZT BEGINNT DIE ZEIT, in der der Winter immer länger und zäher wird. Ich denke, dass es in diesem Jahr zu einer Weichenstellung kommt, die das leicht Surreale meiner gegenwärtigen Existenz in einen handfesteren Aggregatzustand überführt. Ich befrage zwar nicht die Sterne, aber wenn es hier in der Nähe ein Orakel gäbe, würde ich vielleicht mal hingehen...