Montag, 04.02.2002

ZWEI TRAURIGE NACHRICHTEN prägten die letzte Woche: am Mittwoch starb Carlo Karges, Songschreiber und Gitarrist der ersten Nena-Band, der zuvor ein halbes Jahr mit Extrabreit gespielt hatte und am Freitagmorgen Hildegard Knef, mit der ich in einer ganz anderen Ära eine gemeinsame Sternstunde hatte.

HILDE, die ich Zeit meines Lebens in erster Linie als Sängerin, Texterin und Schriftstellerin wahrgenommen habe, hat mich bereits mit 13,14 in ihren Bann gezogen. Oft lauschte ich nachts ihren Platten aus den 60ern, ihre romantische Desillusioniertheit, ihre lakonische Sprache und ihre angelebte Stimme liessen mich Einiges vom Leben ahnen, Dinge, von denen ich auch in der Praxis erfahren hatte, als ich sie über 20 Jahre später dann persönlich traf. Anlass war unsere geplante Zusammenarbeit bei der Extrabreit- Version von „Für mich soll’s rote Rosen regnen“.
Sie saß an einem kleinen Fenstertisch im Pianosalon eines eleganten Hotels in Wiesbaden, rauchte aus der Spitze und musterte jeden Einzelnen von uns mit ihren Scheinwerferaugen, während ihr grosser Mund ein amüsiert-ironisches Lächeln produzierte. Dann knurrte sie: „Hallo Jungs!“ Wir machten ein paar Fotos zusammen und ihre flachsige Art liess sehr schnell ein lockeres, kollegiales Verhältnis entstehen.

Die Knef war ein starker Charakter, eine Frau mit grosser intellektueller und seelischer Bandbreite, von sarkastischem Humor und auch Zoten nicht abgeneigt. Die Chemie zwischen uns stimmte, was man den Aufnahmen, den gemeinsamen TV-Auftritten und auch dem schönen Videoclip von Marcus Rosenmüller anmerkt. Bei Pressekonferenzen hatte man allerdings keine Schnitte gegen sie, die Gelegenheit, die grosse öffentliche Aufmerksamkeit zu i h r e r Show zu machen, liess sie sich nicht entgehen, getreu ihrem Motto „Wer Luft holt, hat schon verloren“. Ihren Redefluss zu unterbrechen, hätte ich als ungalant empfunden und schliesslich ist und bleibt „Rote Rosen“ ja auch eine Hommage an sie. Abends in der Hotelbar, wo ich mit ihr und ihrem überaus sympathischen Mann Paul von Schell öfters zusammen saß, war sie eine interessierte und höchst amüsante Gesprächspartnerin. Wir sprachen über ihre Zeit in Amerika, Marlene und einige ihrer Songs, z.B. „Insel meiner Angst“, das schon als Teenager eine dunkle Faszination auf mich ausgeübt hatte. Sie, die ja auch nie ein Kind von Traurigkeit war, interessierte sich für mein Liebesleben und auch mein Drogenproblem, das damals noch nicht lange hinter mir lag.
Zu dieser Zeit war sie spindeldürr und sehr zerbrechlich, bei den Proben zu einem Auftritt im „Schmidt’s Tivoli“ hätte ich sie einmal mit einer etwas ungestümen Bewegung beinahe von der Bühne katapultiert. Sie bestand darauf, ohne Brille die Bühne zu entern, weswegen ich die quasi Blinde eingehakt zu ihrem Mikrofon manövrierte. Auch damals war sie, wie die Hälfte ihres Lebens, nicht gesund, aber auf sie mag wohl das zugetroffen haben, was in der Literatur manchmal als „Krankheit als Motor der schöpferischen Kraft“ beschrieben worden ist. In den Jahren danach bin ich ihr noch ein paar Mal begegnet, zusammen mit Paul von Schell, dem mein Mitgefühl gilt. Die „Mopo“ brachte eine charmante Schlagzeile zu einem grossen Starfoto: „Für sie wird’s rote Rosen regnen“. Davon gehe ich aus.

CARLOS TOD hat mich noch in anderer Weise berührt und bestürzt. KLEINKRIEG rief mich am Mittwochmorgen an und erzählte, dass er in der Nacht zuvor Im UKE in Hamburg ziemlich elendig gestorben ist. Der Autor von Nenas größten Hits hat sich in den letzten Jahren systematisch zu Tode gesoffen.
Carlo Karges, ein kleiner, damals noch drahtiger Zigeuner mit einem hübschen Teenybopper-Face tauchte im Frühjahr 1980 in Hagen auf. Unser zweiter Gitarrist war ausgefallen und auf Vermittlung unseres Verlegers sollte er diesen bei einigen Gigs ersetzen. Carlo hatte die Aura des zwar mittellosen (alles, was er besaß, passte in einen kleinen Reisekoffer), aber unbedingt von sich und dem unausweichlichen Erfolg überzeugten Künstlers. Er spielte recht ordentlich Gitarre, aber seine Stärke lag noch mehr in seinem Willen zum Pop. Er blieb ein paar Monate bei der Band und ist auch auf unserem ersten Album zu hören, besonders das von mir besonders geschätzte „110“ hat er entscheidend mitgestaltet. Da das Songwriting aber ansonsten eher eine Sache zwischen Kleinkrieg und mir war, ging er zurück nach Berlin, um seinen Traum vom Starruhm zu verwirklichen. Schon länger hatte er dabei auf die Bekanntschaft mit einem Mädchen gesetzt, das in jenem Sommer auf Rollschuhen bei einem unserer Gigs in Hagen auftauchte und mit der er drei Jahre später einen Welthit haben sollte. Damals war Carlo ein manchmal etwas träger, aber im Kopf ziemlich fixer Junge, „streetsmart“ und mit den Damen sehr charmant, weshalb er sich auch in den verschiedensten Städten irgendwo parken konnte. Wir beide verstanden uns recht gut, seine weltmännische Art faszinierte mich. Er brachte mir bei, wie man aus einer Streichholzschachtel kifft, wir teilten eine gemeinsame Leidenschaft für Comics, hingen zusammen in Straßencafes ab und sahen den Mädchen nach.

In der Mitte der 80er besuchte ich ihn in der riesigen Villa hoch über Ibiza-Stadt, die er den Sommer über gemietet hatte. In rasendem Tempo war er zum lebenden Klischee eines Popstars geworden und unsere Unterhaltungen hatten im Gegensatz zu früher manchmal etwas Steifes und Gewolltes. Wenig später trennte sich die Nena-Band und Carlos Talfahrt begann. Als die SONY seine neuen Projekte ablehnte, schickte er dem Chef der Company ein riesiges Paket mit seinen zahlreichen Gold- und Platinplatten, die er zuvor mit einem Beil zu Kleinholz gemacht hatte.
Zuletzt traf ich ihn 1995, kurz nachdem eine Reunion der Nena-Band gescheitert war. Er witterte verschwörerische Sektenaktivität hinter all dem und machte gerade einen neuen Versuch, eine eigene Band auf die Beine zu stellen. Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Er hatte, auch wegen der vielen Coverversionen keine finanziellen Schwierigkeiten, sah aber „keinen Grund mehr aufzustehen.“ Es ist tragisch, dass ein smarter, talentierter Typ wie er die letzte Ausfahrt nicht genommen hat. Damals in Hagen ist er immer „aus Überzeugung“ auf die sonnige Seite der Straße gewechselt. An einem dieser Sommertage gab er mir ein Buch mit dem Titel „Unfug des Lebens und des Sterbens“: