Sonntag, 15.07.2001

VOR ein paar Tagen kam JAH in mein Office, um zu hören, was ich zum Tod von Herman Brood denke. Ich hatte überhaupt noch nichts davon gehört und war erst mal sprachlos. Herman ist in Amsterdam aus einem Hotelfenster gesprungen und hat einen Brief hinterlassen, in dem steht, dass er einfach keine Lust mehr habe. Er muss Anfang oder Mitte Fünfzig gewesen sein und er war nach wie vor viel live unterwegs, tauchte um die Weihnachtszeit regelmäßig in Deutschland auf, um ein paar Gigs zu spielen. Es ist ewig her, daß ich ihn live gesehen habe, das letzte Mal muß so 1983 gewesen sein, als er in Hagen gastiert hat. Ich habe Herrman immer sehr geschätzt, seine Art von Rock ‘n’ Roll war pur und gelebt. Ende der Siebziger hatte er eine heftige, aber kurze Blütezeit, danach machte er auf kleinerem Level weiter, ohne dass ihn das allzusehr zu berühren schien. Er begann auch zu malen. Mehr als die Hälfte seines Lebens war er ein Junkie und Trinker, zäh und auf wächserne Art konserviert, mit seinem hageren Gesicht und seinem sinnlichen Grinsen das lebendige Klischee eines Rock ‘n’ Rollers. Seine Musik hatte etwas Messerscharfes und Nervöses, immer kurz vor dem Sprung. Ich dachte , er würde ewig leben. Damals in Hagen zogen wir nach dem Konzert zusammen los, dabei waren zwei seiner wie immer sehr attraktiven Background-Sängerinnen, die allerdings im Laufe der Nacht irgendwie verlorengingen. Wir besuchten MAUSI, die in unserem damaligen Büro ein Zimmer bewohnte und dort eine Art Frisiersalon betrieb. Sie schnitt Herman die Haare, während er ein Gedicht schrieb, in dem er seine eigene Kunstsprache auf „Extrabreitsz“ anwandte und das ich heute noch besitze. Nachdem wir dann durch verschiedene Läden gezogen waren (das war damals in HOMETOWN tatsächlich noch möglich), machten wir, während es draußen hell wurde, im Passbildautomaten in der Bahnhofshalle gemeinsam Fotos: Die Köpfe eng beieinander, mit zu Berge stehenden Haaren und weit aufgerissenen Augen, zwei zeitweilige Brüder im Wahnsinn.

Als JAH ein paar Tage später die Bilder sah, zeichnete er danach mit Wachsmalstiften ein Porträt von mir, mit verwischten Gesichtszügen, aus denen helle Augen wie Halogenscheinwerfer hervorstachen und Haaren, aus denen grünliche Flammen züngelten. Ein interessantes Bild, das, wie die Passbilder, leider verloren gegangen ist.

Dass Herman wie Chet Baker, der ebenfalls ein Junkie war, bei einem Sturz aus einem Amsterdamer Hotelfenster ums Leben kam, ist schon eine seltsame Parallele und vielleicht sogar gewollt. Er war, natürlich, ein äußerst sensibler Junge, einer, der nie erwachsen wird und auf einem Seil über dem Abgrund turnt, getrieben von unstillbarer Sehnsucht nach Höhe und Geschwindigkeit. So long, Herman!

DIE Tauben im Hof sitzen auf den schrägen Dächern, als warteten sie auf ihre Chance. Die Rabenattrappen, die seit einiger Zeit in Massen auf den Balkongeländern auftauchen, sind längst als Pappkameraden erkannt, das Flattern und Gurren und Scheißen geht unvermindert weiter. Seit „Die Vögel“ habe ich wirklich eine leichte Phobie, zumindest wurde sie dadurch verstärkt. Als ich neulich auf dem Parkplatz in Barmbek eine Zigarette rauchte, nahm ich plötzlich direkt neben mir einen echten Raben wahr, der nur etwa 2 Meter von mir entfernt auf einem Fahrradlenker saß. Ich erschrak heftig und machte gleich ein paar Schritte zurück. Dann ging ich in einem großen Bogen um den Vogel herum, der mich mit weit geöffnetem Schnabel und sich ruckartig drehendem Kopf beobachtete. Ich konnte seinen roten Schlund sehen und die Härchen auf meinen Armen richteten sich auf.

Langsam ging ich um die Ecke des Hauses, den Blick unverwandt und voller Vorsicht auf den Raben gerichtet, dessen eines für mich sichtbares Auge jede meiner Bewegungen verfolgte. Ich war erleichtert, als sich die große Glastür hinter mir schloss.